Klavier und Treibsand
26. August 2014 von evakarel
Es ist 23 Uhr, ich sitze am Schreibtisch, das große Dachflächenfenster über mir ist sperrangelweit geöffnet, die nächtliche Sommerluft weht mir im den Nacken, die Söhnchen schlummern im Nebenzimmer. Eigentlich lektoriere ich gerade eine Diplomarbeit, doch jetzt hat jemand angefangen, bei offenem Fenster Klavier zu spielen und ich schmiege mich in den Moment. Wie schön ist das bitte gerade?
Ich hatte mal eine Mitbewohnerin, sie war Malerin und ein eher zurückgezogenes Kerlchen. Dann riss sie eine intensive Phase melancholischen Ziehharmonika-Spielens auf. Tagein, tagaus das immer gleiche französische Chanson, und zwar immer nur Fragmente, in Endlosschleife wiederholt, die sich in den schmalen Lichthof hinter der Josefstädterstraße drängten. Ich stand irgendwie darauf, hörte ihr – in meinem grundlegend weltschmerzenden, Anfang zwanzigjährigen Sumpf durchs Küchenfenster zu, während ich nachdenklich mein Mittagessen in mich hineingabelte. Irgendwann riss einem Nachbarn dann die Hutschnur, er fühlte sich bewogen, in ohrenbetäubender Lautstärke den schönen Satz: “Aufhören, SOFORT AUFHÖREN, i werd DEPPERT!!!!” in den Lichthof zu brüllen, woraufhin die Ziehharmonika auf alle Zeit verstummte und wir durch einen mittleren Lachkrampf aus der Melancholie katapultiert wurden.
Egal, dieseR KlavierspielerIn beherrscht jedenfalls das Handwerk und lässt mir die schönsten Melodien durchs Fenster hereinkraxeln. Nach acht Monaten und viel Hin und Her ist nun also der Groschen gefallen. Ich werde also alleinerziehend bleiben. Aus freien Stücken. Und es ist spannend, diesen Prozess rückblickend zu betrachten, hatte ich doch im Dezember das Gefühl, sämtlicher Boden hätte sich in der Sekunde zu Treibsand verwandelt, stünde mir nun bis zum Hals und alles, was ich tue, ist verzweifelt zu strampeln und mir den aufwirbelnden Sand aus den Augen zu wischen. Und dann ziehen die Monate ins Land. Die Hoffnung kommt und geht, sie kulminiert, sackt dann in sich zusammen und übrig bleibt: Es ist gut so.
Ich bin frei.
Ich hör mir manchmal Branka Parlic auf Youtube an (Branka Parlic Plays Philip Glass The Hours) …
wunderschön!!!! danke!