Warum das fröhliche Mittelmaß super ist.
109. Oktober 2013 von evakarel
Meiner geschätzten Ansicht nach ist ernst dreinschauender Geniekult ja nichts als Farce. Dieses Getue, als würden ausschließlich jene paar wenigen kreativen Genies Kraft des Zungenkusses, den sie tagtäglich von ihrer Muse verpasst bekommen, dazu legitimiert sein, ihres Amtes zu walten. Der Mythos reicht noch weiter: Die schreibenden Genies arbeiten im stillen Kämmerlein vor sich hin, die Arbeit geht ihnen flott von der Hand, wenn sie fertig sind fühlen sie sich quasi wie frisch geduscht. Die StreberyogiNis finden sich jeden Tag frühmorgens auf ihren Yogamatten ein, zünden verträumt ein Räucherstäbchen an und katapultieren ihre disziplinierten Yogahintern in spirituelle Höhen, während sie mir im Kopfstand stolz mit ihrem detached-en Ego vor der Nase herumwedeln. Als ginge es vorrangig um Disziplin!
Blödsinn, sage ich. Das ist ausgrenzender, lebensverneinender Blödsinn. Freunde, mir sind Geniekult und Perfektionismus so zuwider. Vermutlich ist der gemeinsame Nenner all jener “Genies” ein sich immer wieder meldendes Bedürfnis. Eine nicht Ruhe gebende Sehnsucht. Und dass sie irgendwann begonnen haben, diesbezüglich etwas zu TUN. Herumzuprobieren, ziemlich sicher ohne Masterplan. Ziemlich sicher unsicher. Vermutlich hat irgendwann irgendjemand ein kleines Lob fallen gelassen und damit unabsichtlich die eine oder andere Schleuse geöffnet.
Mir scheint, dass wir diese unsere gottsverdammte Menschlichkeit überall hin mitnehmen und das ist GUT so! Auf’s Papier, ins Café, auf die Yogamatte, ins Meditationszentrum, in die Arbeit, in die Sandkiste, auf die Leinwand. Mit zwei Kleinkindern besteht meine Yogapraxis manchmal daraus, beim Schuhebinden Uttanasana zu machen, am Wickeltisch einen Brustöffner einzuschieben und per Ujjayi-Atmung mehr Geduld herbeizuhecheln. -Passt! Soll ich jetzt deshalb mit mir unzufrieden sein? Bestimmt nicht. Hoffentlich greifen sich die Schreibenden, Singenden und Filmschaffenden aus meinen Kursen nicht gerade kopfschüttelnd ans Hirn.
Es geht darum, es TROTZDEM zu tun. Trotz der Selbstzweifel, trotz der Zeitnot, trotz aller Unvollkommenheit, trotz aller Unausgegorenheit und überhaupt, trotz mangelnder Gratulanten, einfach weil diese Sehnsucht sich eben immer wieder meldet und ich davon überzeugt bin, dass Begeisterung so etwas wie ein persönlicher Wegweiser ist. Und die Ansprüche ja nicht zu hoch werden lassen! Lieber im fröhlichen Mittelmaß flanieren und zufrieden mit sich und der Welt sein.
Mich interessiert, was hinter den Kulissen geschieht, an pseudo-spirituell gleichmütigen Nasenlöchern bin ich gänzlich uninteressiert, an coolem Kreativgehabe ebenso. Genauso wenig interessiert mich letztlich die äußere Form einer Yogaposition. Als Durchbruch empfinde ich hingegen, wenn eine Schülerin auf einmal ihren Bauch gemütlich herauskippen lässt und sich die Bauchdecke mit einem Mal bei jedem Atemzug hebt und senkt. “HIRN AUS!” poltere ich zuweilen durchs Studio. Mich interessiert, ob sie ihre Zähne zusammenbeißen, oder ob die Bewegung etwas Instinktives, Versunkenes zu bekommen scheint. Ob sich etwas Eigenes einstellt. Warum ist das Amateurhafte also zu favorisieren? Weil es direkt ist. Unverfälscht und nicht anbiedernd.
Und was meldet sich in euch so?
So ein toller Beitrag! Danke liebe Eva
danke, xeniana!
Liebe Eva,
Bei mir melden sich “In meinem Element” (Ken Robinson) und “gut genug”.
In meinem Element, das ist wenn das, was ich gut kann UND gerne mache zusammentrifft. Das passiert manchmal, ohne großartig darüber nachzudenken, aber es passiert gar nicht, wenn ich versuche, etwas herbeizuzwingen. Es passiert dann, wenn ich die Zeit vergesse und ganz in dem versinke, was ich gerade mache. Und wenn ich es gern tu, tu ich es (hoffentlich!) auch oft, und werde “besser” darin. Besser für mich, nicht für jemand anderen. Das zu bemerken, wann man in seinem Element ist, dazu gehört Aufmerksamkeit für sich selbst. Frau spürt es, wenn sie hinhört (wenn!). Das dann weiterverfolgen, und dem Zeit einräumen, was einer selbst wirklich gut tut, im anstrengenden Alltag zwischen Job, Kindern und Ausbildung – das ist eine echte Aufgabe.
Und “gut genug” ein Appell vor allem an jene perfektionistischen Mütter, die sich und ihre Kinder ständig daran messen, was andere Mütter alles tun und was deren Kinder nicht schon alles können (auch eine Art Geniekult). Die Nackenhaare stellen sich mir auf. Englisch-Kurse für Krabbelkinder – als ob sie das sonst nie lernen würden. Mozart-Berieselung des Schwangerenbauches – fördert die Intelligenz des Ungeborenen?! Die Kinder mit Omega-3-Fettsäuren (vulgo Fischöl) medikamentieren – fördert die Intelligenz der Kinder? Meine Kinder sind auch so intelligent genug. Jedes Kind ist intelligent genug. Einzigartig. Raustreten aus diesem ständigen selbst-produzierten Stress, einfach gelassen da-sein, das schwingt in mir, wenn ich deinen wunderbaren Artikel lese.
Vielen Dank dafür.
danke für deine antwort!
[…] Danke für das Interview, liebe Eva! Ich freu mich auf deinen nächsten Blogbeitrag und dein […]
Im Grunde geht es doch nur um Zufriedenheit, oder?
ja, es geht um Zufriedenheit. was allerdings nicht heißt, dass ich mich ausschließlich mit dem Mittelmaß abfinden möchte! doch dazu vl. ein andermal 🙂
[…] Eva Karel schreibt über das fröhliche Mittelmaß: […]
Mein persönlicher Kampf gegen den Perfektionismus dauert schon richtig lange. Wahrscheinlich, weil Perfektionismus, Arroganz, Ausgrenzung und Elitetum so einfach sind: Kritik prallt ab, wenn man sich dem Kritisierenden überlegen fühlt.
Die Entscheidung dagegen fiel nachhaltig und das hab ich jetzt davon: ich bin zufriedenen mir, aber ich reagiere umso allergischer auf Überheblichkeit, Anmaßung und ausgrenzenden Stolz.
Schwierig bleibt, dass auch der Mittelmaßweg nicht unstrittig ist. Es gibt kein Richtig, kein Falsch. Gleichzeitig ist ein rein individuumsbezogener Ansatz genauso unangreifbar und unpraktikabel. Kann ich mich immer auf jeden Menschen einzeln einstellen? Nein…ich kann es nicht.
Wenn es kein richtig und kein falsch gibt, sondern nur persönliche Entscheidungen für die eine oder andere Annahme über uns selbst und unsere Welt, ist letztendlich vielleicht egal, wie wir ticken?
Manche Genies haben Wunderbares zu sagen. Manches Mittelmaß macht mich krank. Der Elitegedanke kotzt mich an. Und ich möchte lieber ich-selbst sein und nicht die Beste. Das ist mein Spannungsfeld. Danke fürs zum-Nachdenken-anregen, Eva.
[…] Text handelt vom Mut zur Mittelmäßigkeit. Meine persönliche Erfahrung ist, ich scheue wie ein wildes Pferd von dannen, sobald meine Ziele […]